Marabi

Die Marabi-Ära: Südafrikanische Urbanisierung, Proletarisierung und die Geburt des Jazz

In den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts stieg die urbane Bevölkerung Südafrikas, in einer Welle der Industrialisierung, rasant an. Die afrikanische Bevölkerung zog es aus den ruralen Gebieten in die Städte in der Hoffnung auf etwas bessere finanzielle Aussichten, bspw. in der Minenindustrie. Dies führte dazu, dass ein grosser Teil der Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit proletarisiert und gettoisiert wurde.[11] Denn obwohl die offizielle Apartheid erst 1948 mit der Machtübernahme der National Party begann, herrschte in der Südafrikanischen Union bereits seit dem Natives Land Act von 1913 (dem Gesetz, welches das Land in „schwarze“ und „weisse“ Gebiete unterteilte) eine starke Segregation in urbanen Gebieten. In diesen wachsenden Townships entstand deshalb schnell eine urbane Arbeiterklassen-Kultur. Diese stand in einem komplexen Spannungsverhältnis sowohl zu traditionellen, ruralen Kulturen, als auch zur bürgerlich-elitären Kultur der schwarzen Mittelschicht und zur weissen Hegemonial-Kultur.[12]

 

Im Zentrum dieser Arbeiterklassen-Kultur standen die Shebeens (urspr. irisch für illegale Kneipen). Der Alkohol-Handel war in der Union der afrikanischen Bevölkerung verboten und wurde deshalb nur am Rand der Städte, in den Townships, betrieben. Die Shebeens wurden meist von Frauen, sogenannten Shebeen- oder SkokiaanQueens (nach einer beliebten, starken Selbstbrau-Biersorte) betrieben. Diese Frauen führten teilweise mit dem Brauen eine auf dem Land weit verbreitete Tradition weiter und versuchten mit dem Verkauf von Alkohol dem geschlechtlich stark getrennten Arbeitssystem zu entkommen. Die Shebeens waren geprägt von langen, das ganze Wochenende über anhaltenden Partys, Kriminalität, Alkoholkonsum und Musik.[13]

 

Mitglieder der ‘American’-Gang – Sophiatown 1954, Bob Gosani. Schadeberg, Jürgen: Sof’town Blues. Images from the Black ‘50s. Eigenverlag, Pinegowrie 1994, S. 38.

Diese Musik war der Marabi, ein Begriff der zwar einem bestimmten Genre zugeschrieben wird, aber auch für eine ganze Ära der südafrikanischen urbanen Kultur stand, welche mit den ersten Zwangsräumungen schwarzer Innenstattgebiete ein tragisches Ende nahm. Geprägt war der Musik-Stil Marabi von einer zirkulären, ostinaten Begleitung, meist im harmonischen Muster I–IV–I64–V, auf der potentiell endlos Melodien improvisiert wurden. Diese Melodien bestanden oft aus Versatzstücken beliebter Stücke jeglicher Provenienz (Volksmusik, religiöse Musik, US-Jazz, Tanzmusik wie Vastrap, etc.) welche, wie das zugrundeliegende Pattern, auch mehrmals wiederholt werden konnten. Dabei wurde Marabi meist auf mobilen Orgeln oder Klavieren gespielt und perkussiv von mit Steinen gefüllten Dosen begleitet.[14] Leider sind keine Klangbeispiele von frühem, „reinem“ Marabi erhalten geblieben (obschon das Genre immer sehr flexibel gedacht war), da der Marabi zu seiner Blütezeit nie auf Platten festgehalten wurde. Dies teilweise, weil der Stil eine geächtete Untergrundmusik war, aber auch, weil Plattenaufnahmen in der Zeit noch nicht üblich waren.[15] Der Stil inspirierte jedoch verschiedenste Genres wie Jazz (später Mbaqanga), Jive, Pata Pata, oder Kwela und ist deshalb in etwas veränderter Form in Platten der 40er Jahren noch zu hören.

 

Marabi wurde in den Shebeens stundenlang ohne Ende gespielt, was in der zirkulären Form und der improvisatorischen Natur dieser Musik bereits angelegt war.[16] Die Marabi-Partys wurden von den ShebeenQueens veranstaltet, um am Wochenende besonders gute Einkünfte aus dem Alkoholverkauf zu generieren. Gleichzeitig waren diese Partys Orte des Zusammenkommens für das neue urbane Proletariat, Orte des Handels, des Austauschs[17] und Treffpunkte für kriminelle Gangs oder für Prostituierte.[18] Die Musik spielte dabei die zentrale Rolle, das Publikum anzulocken und die Veranstalterinnen setzten bewusst auf talentierte Musiker/innen und Ensembles, um die Konkurrenz zu schlagen.[19]

 

Tanzen bei einer Township-Party – Johannesburg 1952, Jürgen Schadeberg. Schadeberg, Jürgen: Sof’town Blues. Images from the Black ‘50s. Eigenverlag, Pinegowrie 1994, S. 29.

Der Marabi beherbergte in sich viele der Spannungen der urbanen Gesellschaft Südafrikas: Ein Musikstil, welcher aus der traditionellen Musik die Zirkularität übernahm, (die man wiederum auch im US-Jazz wiederfinden konnte und deshalb als transatlantisches Anzeichen afrikanischer Kultur-Einheit sah), gespielt auf westlichen Instrumenten (Orgel, Klavier, Klarinetten, Trompeten, etc.), mit improvisierten Melodien und Rhythmen aus dem gesamten Spektrum südafrikanischer Kulturen (traditionelle Melodien oder Melodien aus Jazz-Liedern, Rhythmen aus Tänzen der Afrikaans-sprechenden weissen oder gemischten Bevölkerung, etc.), in einem urbanen, proletarischen und kolonial unterdrückten Setting gleichwohl geprägt von Illegalität und Schattenökonomien als auch durch Klassenidentitäten, Hoffnung, Suche nach neuen sozialen Zirkeln an einem unbekannten Ort und nicht zuletzt Lebenslust und Spass.

 

 

Thomas Mabiletsa: Zulu Piano Medley, No. 1: Part 1, auf: Ballantine, Christopher (comp.): Marabi Nights. Historic Recordings (Begleit-CD), University of KwaZulu-Natal Press 2012. [Original c. 1944]

 

Thomas Mabiletsa: Zulu Piano Medley, No. 2: Part 1, auf: Ballantine, Christopher (comp.): Marabi Nights. Historic Recordings (Begleit-CD), University of KwaZulu-Natal Press 2012. [Original c. 1944]

 

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